- neolithische Revolution
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neolithische RevolutionEin schauriger Befund kam bei Ausgrabungen im nordwürttembergischen Talheim in den Jahren 1983/84 zutage: Etwa um 5000 v. Chr. war hier die Bevölkerung eines ganzes Dorfes ermordet und verscharrt worden. An den Skeletten der insgesamt 34 Opfer konnte man von hinten zugefügte schwere Schädelverletzungen feststellen. Die Hintergründe dieser Tat sind natürlich nicht mehr aufzuklären, doch lässt sich anhand dieses Ereignisses ein Wandel der Wirtschaftsweise, der Lebensform und Wertvorstellungen, wie er sich ab der 2. Hälfte des 6. Jahrtausends v. Chr. in Mitteleuropa vollzog, erkennen. Mit alt- und mittelsteinzeitlichen Jägern und Sammlern hatte dies nichts mehr zu tun.Der Mensch lässt sich niederIm 9. Jahrtausend v. Chr. setzte im Vorderen Orient ein Wandel ein, der zu den tiefgreifendsten Änderungen in der Menschheitsgeschichte überhaupt gehört. Der Mensch gab sein unstetes, die Altsteinzeit charakterisierendes Jäger- und Sammlerdasein auf, das etwa 2,5 Millionen Jahre lang Grundlage seiner Existenz gewesen war. Stattdessen errichtete er nun feste Häuser, bildete größere Siedlungsgemeinschaften, baute Getreide an und hielt sich Haustiere als Lebendvorrat. Dieser ebenso erstaunliche wie folgenschwere Vorgang wird, etwas irreführend, als neolithische (jungsteinzeitliche) »Revolution« bezeichnet. Dabei dauerte es immerhin mehrere Tausend Jahre, ehe die neue Wirtschaftsweise und Lebensform durch allgemeinen Kulturtransfer und Wanderungsbewegungen von ihrem Ursprungsgebiet über Anatolien und den Balkan, wo sie ab etwa 7000 v. Chr. nachweisbar ist, um 5500 v. Chr. auch Mitteleuropa und im 4. Jahrtausend v. Chr. schließlich die nordeuropäische Tiefebene erreicht hatte.Der Wandel blieb keineswegs auf Vorderasien und Europa beschränkt; die neolithische Revolution ist ein nahezu weltweites Phänomen, dessen Auftreten bisher noch nicht schlüssig erklärt werden konnte. Ein direkter Zusammenhang mit den endeiszeitlichen Klimaveränderungen, zumindest im Vorderen Orient einhergehend mit einer Zunahme der jährlichen Niederschlagsmengen, ist jedoch wahrscheinlich. Im »Fruchtbaren Halbmond«, einem Raum, der von der Halbinsel Sinai über die Levante und das Einzugsgebiet der Flüsse Euphrat und Tigris bis zum Zagrosgebirge in Iran reicht, waren viele Wildformen unserer heutigen Getreidearten und Fruchtpflanzen weit verbreitet, zum Beispiel Einkorn, Emmer (Weizen) und Wildgerste. Auch Wildziege und Wildschaf (Mufflon), die ersten Tiere, die der Mensch domestizierte, waren hier beheimatet, dazu das Wildrind und das Wildschwein.Die ökologische Situation bot so hervorragende Rahmenbedingungen für den Wechsel von der aneignenden Wirtschaftsweise der nichtsesshaften Wildbeuter hin zu Ackerbau und Viehhaltung der jetzt sesshaft werdenden Bauern. Der Übergang erfolgte allmählich. Stellvertretend hierfür sei die vom 12. bis 9. Jahrtausend v. Chr. im Gebiet des heutigen Israel und Jordanien verbreitete Natufienkultur genannt. Deren Träger pflanzten noch nicht, sondern sammelten das Wildgetreide, die Jagd blieb für sie lebensnotwendig. Alles in allem praktizierten sie noch eine halbsesshafte, für die Mittelsteinzeit charakteristische Lebensweise.Mühsamer LandbauNeuere Untersuchungen haben gezeigt, dass das lange Zeit vorherrschende Bild vom Jäger und Sammler als einem immer auf der Nahrungssuche befindlichen, rastlosen Menschen nicht stimmt. Die Wildbeuter hatten vielmehr aufgrund mannigfacher Strategien der Nahrungsbeschaffung, die je nach den lokalen Gegebenheiten variiert werden konnten, und der Fähigkeit, in Mangelsituationen auf andere Nahrungsquellen ausweichen zu können, entscheidende Vorteile gegenüber den sesshaften Ackerbauern und Viehhaltern. Diese konnten zwar durch den Anbau von Getreide vorausschauend planen und mit der Ernte Vorräte anlegen, mussten dafür aber härter und mehr als die Wildbeuter arbeiten. Durch Naturkatastrophen oder auch nur eine Wildschweinherde, die auf der Suche nach Nahrung ein Feld durchwühlte, konnte es zu lebensbedrohlichen Ernteeverlusten kommen. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die neolithische Revolution bewusst herbeigeführt wurde. Anzunehmen ist vielmehr, dass es sich um eine vom Klima beeinflusste, von Zufällen gelenkte, ungewollte Entwicklung handelte, in die die damaligen Menschen hineingerieten, ohne dies zu bemerken.Der Anbau von Emmer und die Getreidevorratshaltung sind erstmals für das 9. Jahrtausend nachgewiesen, intensiver Landbau und Haustierhaltung ab etwa 7500 v. Chr. Als Jagdtier spielte die nicht domestizierbare Gazelle weiterhin eine große Rolle. Die Siedlungen dieser Zeit, etwa Jericho, entwickelten sich rasch zu erstaunlicher Größe und boten mehreren Tausend Menschen Platz. An solchen agrarisch wirtschaftenden Plätzen wuchs die Bevölkerung beachtlich, hier entwickelte sich handwerkliche Produktion mit einem großen Innovationspotenzial, wirksam auch in der Bewässerungstechnik. Hier auch entstanden differenzierte Sozialstrukturen mit Arbeitsteilung, reifte aufgrund von Besitz- und Machtansprüchen Konfliktpotenzial heran und veränderten sich die geistigen und religiösen Vorstellungen. All dies wurde zur Grundlage für die im Vorderen Orient ab dem 4. Jahrtausend v. Chr. entstehenden Stadtstaaten.Die Jungsteinzeit erreicht EuropaDie bisher ältesten Spuren der neolithischen Revolution in Europa stammen aus dem Raum des heutigen Griechenland, zu datieren sind sie in die Zeit um 7000 v. Chr. Wie in der Frühphase der Jungsteinzeit im Vorderen Orient waren auch hier zunächst Tongefäße noch unbekannt. Man spricht daher vom akeramischen (nichtkeramischen) Neolithikum. Entsprechende Gerätschaften sind erst ab etwa 6500 v. Chr. nachweisbar.In Südosteuropa sind für diese Zeit zahlreiche kleine Siedlungen bezeugt, eng bebaut mit kleinen, einräumigen Häusern aus Lehmziegeln. Da diese an gleicher Stelle oft erneuert wurden, entstanden die für diese Zeit im Vorderen Orient und in Südosteuropa charakteristischen Siedlungshügel, je nach Region als Tell, Tepe, Hüyük oder Magula bezeichnet. Aufgrund der gleichförmigen Hausgröße und der fast genormten Inneneinrichtung wird eine noch egalitäre Sozialstruktur angenommen. Dies änderte sich allerdings grundlegend im Verlauf der folgenden tausend Jahre.Ab der Mitte des 6. Jahrtausends v. Chr. verbreiteten sich auf der Balkanhalbinsel befestigte Siedlungen mit Häusern unterschiedlicher Größe und Funktion. Verschieden geformte und verzierte Tongefäße lassen auf eine zunehmende kulturelle Regionalisierung schließen. Die Entstehung der Linearbandkeramischen (Linienbandkeramischen) Kultur im Ungarischen Tiefland ist Teil dieses Vorgangs. Diese Kultur, benannt nach einer sehr charakteristischen Keramikform und -verzierung, breitete sich außerordentlich schnell nach Ostmitteleuropa und über die deutschen Mittelgebirge bis nach Frankreich aus und mit ihr die produzierende Wirtschaftsweise.Die Geschwindigkeit dieser Ausbreitung um 5500 v. Chr. lässt auf Wanderbewegungen, vielleicht auch auf Kolonialisierung schließen, wobei die Kontaktaufnahme der neuen Siedler mit den einheimischen, noch mittelsteinzeitlichen Jägern und Sammlern sicher nicht immer friedlich verlaufen ist. Letztere wurden verdrängt oder »neolithisiert«. Die Bandkeramiker bevorzugten ertragreiche Löss- oder Lehmböden entlang der Flussläufe, wo sie zunächst Einzelhöfe, später größere Dorfgemeinschaften bauten.Die »Neolithisierung« Mitteleuropas war schließlich um etwa 5300 v. Chr. weit vorangeschritten und unumkehrbar geworden. In den folgenden Jahrhunderten entwickelten sich größere, mit Palisadenreihen befestigte Siedlungen und regional unterschiedliche Kulturgruppen. Dass es zwischen den örtlichen Nachbarn und den Kulturgruppen in einer unruhiger werdenden Welt massive Auseinandersetzungen gab und die notwendig gewordenen Befestigungen nicht immer Schutz boten, zeigt der eingangs erwähnte Massenmord von Talheim, der in dieser Form in der Zeit der Wildbeuter kaum denkbar gewesen wäre.Dr. Ulrich ZimmermannIIneolithische RevolutionDer jüngere Abschnitt der Steinzeit, in dem Werkzeuge - besonders die Beilklingen - geschliffen wurden, wird seit 1865 in der Forschung »Neolithikum« (griechisch, »Jungsteinzeit«) genannt. Die neuen Werkzeuge fallen gegenüber den »geschlagenen« Geräten der älteren Zeit deutlich ins Auge, zumal sie als »Donnerkeile« im Volksglauben schon seit der Antike bekannt waren. Aber es war mehr, was die »Periode des geschliffenen Steins« von der des »geschlagenen« trennte: Keramik, Haustiere, Kulturpflanzen, vor allem aber dörfliche Siedlungen mit Häusern aus Holz und Lehm, die es den Menschen erlaubten, sich von der durch Jagen und Sammeln geprägten »aneignenden« Wirtschafts- und Lebensweise zu lösen. Neues wurde »produziert«, etwa Gegenstände aus Keramik, die erste Umwandlung anorganischer Stoffe. Einige Tierarten wurden domestiziert, viele Pflanzenarten kultiviert.Eine Voraussetzung waren die verhältnismäßig kurzfristigen Umweltveränderungen am Übergang vom »Eiszeitalter« (dem Pleistozän, auch Quartär genannt) zur geologischen »Gegenwart« (dem Holozän) vor rund 8000 bis 12 000 Jahren. Bis dahin hatte die Anzahl der gleichzeitig lebenden Menschen, angepasst an die jeweiligen Ernährungsbedingungen, in vielen Regionen Werte erreicht, die ohne Änderung der Lebensformen kaum noch überschritten werden konnten. Die Umweltveränderungen waren zum einen klimatischer Art, es wurde regional wärmer, feuchter oder trockener, zum anderen ließ die Anhebung des Meeresspiegels verschiedene Küstenbereiche, etwa in der Nordsee und in Südostasien, untergehen. Im Unterlauf mancher Ströme kam es zu Rückstauungen und Deltabildungen. Entsprechend änderte sich die Tier- und Pflanzenwelt.Die davon betroffenen Menschengruppen reagierten auf diese Veränderungen in unterschiedlicher Weise. Die Anpassung reichte von kultureller Verarmung und Beharrung bis zu mehr oder weniger raschen Neubildungen und Umformungen. Entsprechend veränderten sich die demographischen Verhältnisse, von Rückgang oder Stagnation bis zu »explosionsartiger« Bevölkerungsvermehrung. Dass es zu diesen Umwandlungen kam, die zu Recht »revolutionär« genannt werden dürfen, ist jedoch aus den Voraussetzungen allein nicht zu erklären. Geistig-religiöse Bereiche sind für diese Zeiträume kaum exakt zu erfassen, ihre Rolle wird deshalb meist unterschätzt.Bei den »Haustieren« ist schwer zu verstehen, warum die Anzahl der domestizierten Arten so begrenzt blieb und dazu noch regionale Unterschiede bestanden. Die wichtigeren Arten sind unter »vorgeschichtlichen« Verhältnissen domestiziert worden, sodass keine schriftlichen Überlieferungen von den Ursachen und Anfängen berichten, wenngleich Pferde und Kamele erst im 4. und 3. Jahrtausend v. Chr. nutzbar gemacht wurden, eine Zeit, von der es aus Ägypten und Südwestasien bereits Schriftzeugnisse gibt. Zunächst wurden die wenigen Haustiere offenbar als Fleischlieferanten gehalten, daneben wohl auch - oder zunächst? - für Opferrituale. Hunde gelten heute als Jagdbegleiter - aber die Jägerstämme Afrikas züchteten bzw. nutzten Jagdhunde in der Regel nicht, und da es unbekannt ist, seit wann Hunde bellen, ist es ungewiss, seit wann sie als Wächter dienten. Ähnlich steht es mit dem Rind, das bereits Haustier gewesen sein muss, bevor es zur Milchgewinnung und als Zugtier genutzt wurde.Gegenüber den wenigen Haustierarten ist die Fülle der kultivierten Pflanzen nahezu unübersehbar, besonders wenn man die in vorkolumbischer Zeit in Amerika kultivierten hinzurechnet. Dass diese Vorgänge vor allem den Frauen zu verdanken sind, die als Sammlerinnen mit Pflanzen besonders vertraut waren, ist unbestreitbar. Da die meisten tropischen Kulturpflanzen archäologisch kaum nachgewiesen werden können, sind die Anfänge dort noch weitgehend unerforscht. Anders ist es bei den altweltlichen Getreidearten, deren Anbau auf vielerlei Art, etwa durch Pollenreste und verkohltes Korn bis zu Spuren auf Erntemessern und Mahlsteinen nachgewiesen werden kann. Sie sind offenbar in den höher gelegenen Steppengebieten Südwestasiens zuerst angebaut worden. Der Rhythmus von Saat- und Erntezeiten, der Zwang zu Vorratshaltung für Saatgut und Nahrung in der Zwischenzeit verlangte eine noch stärkere Anpassung als die Sorge für die Haustiere. Dafür gab es »Freizeit« für andere Verrichtungen. Längere Ortsgebundenheit bei sicherer Nahrungsgrundlage erlaubte länger genutzte und größere Siedlungen, die unter besonders günstigen Bedingungen wie in Jericho im Jordantal zu stadtartigen Anlagen mit Mauern und vielen hundert Bewohnern führten. Kämpfe um Vieh, Land und Erntevorräte waren von anderem Rang als die um Jagdgebiete.Schon bald wurden Waffen entwickelt, die nicht nur zu Jagd und Kampf gleichermaßen, sondern vorwiegend zum Kampf dienten: Schleuder, Pfeil und Bogen, steinerne Keulenköpfe und Streitäxte. Die Schutzlage und bald auch Befestigung von Siedlungen belegen kriegerische Auseinandersetzungen. Die Stileigentümlichkeiten der Keramik der »archäologischen Kulturen« zeigt, dass diese Menschengruppen sich deutlich von ihren Nachbarn unterscheiden wollten, was in der Regel auch für die jetzt zahlreichen bekannten Bestattungsformen gilt.Ob der Prozess der »neolithischen Revolution« in einem enger begrenzten Raum einsetzte und sich dann verbreitete, ist umstritten. Wahrscheinlicher ist, dass es annähernd gleichzeitig in einigen Regionen zwischen Südost- und Südwestasien zu Ansätzen kam, die dann besonders auf Europa, Nordafrika und weite Teile Asiens übergriffen. Randgebiete wie Afrika südlich der Sahara und Nordeurasien übernahmen nur einige der neuen Kulturzüge. In Amerika scheinen diese Prozesse mit zeitlicher Verschiebung abgelaufen zu sein, sie sind aber in vielerlei Hinsicht vergleichbar. In allen Fällen endete dieser Prozess mit der Entstehung von »Hochkulturen«, die dann ihrerseits auf die in »pflanzerischen« oder »bäuerlichen« Lebensformen beharrenden Gruppen einwirkten.IIIvon Vere Gordon Childe (* 1892, ✝ 1957) in Analogie zum Begriff »industrielle Revolution« 1936 formulierte Bezeichnung für den Übergang von der aneignenden Wirtschafts- und Lebensform (Jäger und Sammler; Altsteinzeit, Mittelsteinzeit) zur produktiven Wirtschaftsform (sesshafte Kulturen; Jungsteinzeit).Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:neolithische RevolutionTechnik der Frühzeit
Universal-Lexikon. 2012.